Assets statt Anstand — Der tiefe Fall des Otto-Versands.
Foto: HANSEVALLEY
Eine Otto.de-Supporterin zickt am Telefon: “Sie hätten ja nicht bei uns zu kaufen brauchen”. Otto Asset-Geschäftsführer Tarek Müller pöbelt auf Facebook: “Auch wir hatten Interaktion mit ihm. Da war ich fassungslos über Umgangsform, Verhalten und Geltungsbedürfnis.” Otto Group-Sprecher Thomas Voigt betreibt gleich direkt Verleumdung: “Ihre Mails sind nun schon seit Jahren von Verunglimpfungen gegenüber führenden Persönlichkeiten des Konzerns oder den Kommunikationsverantwortlichen geprägt.” So reden Otto Group-Mitarbeiter bis heute öffentlich über Kunden und Multiplikatoren — ohne die Behauptungen zu belegen. Willkommen in der Welt der Otto Group. Willkommen in Bramfeld.
Kunden anpöbeln oder Journalisten verunglimpfen zeigt, wie man hier denkt. Und damit zeigt man, wie man agiert. Unabhängig der vorsätzlichen Pöbeleien bringt eine Tatsache auf den Punkt, worum es dem Hamburger Otto-Personal nur noch geht: “Assets”. Das ist der Fachbegriff der Finanzindustrie u. a. für Unternehmensteile oder Geschäftsbereiche. Die Absolventen von privater FH Wedel oder HSBA denken nicht etwa an Kunden, sondern an “Assets”. Genau diese BWL- und Berater-Denke macht hemmungslose Pöbeleien gegenüber denjenigen möglich, die für das Unternehmen entscheidend sind — nämlich Kunden und Multiplikatoren (vgl. Amazon-Kundenzentrierung).
keinen “Day One”-Experten im Vorstand.
Foto: Marc Ackermann
Der Unterschied zwischen Otto und Amazon: Ein kleines Kino im Hamburger Westen. Die Presseabteilung von Amazon Prime lädt zur Premiere einer neuen Serie in die Hansestadt. Beim anschließenden Interview mit dem zuständigen Deutschland-Geschäftsführer unterbricht eine Agentur-Mitarbeiterin unversehens das Gespräch. Der Hinweis gegenüber den Presseverantwortlichen sorgt für sofortige Abhilfe. Die PR-Frau wird aus dem Verkehr gezogen, das Interview kann ungestört beendet werden. Hier hat man verstanden, dass es um ein gemeinsames, publizistisches Ziel geht. Das nennt man Professionalität in der Pressearbeit.
„Tag zwei bedeutet Stillstand, gefolgt von Bedeutungslosigkeit, gefolgt von einem fürchterlichen, schmerzvollen Niedergang, gefolgt von Tod. Und deswegen ist immer Tag eins.“
Jeff Bezos, Gründer und CEO, Amazon.com Inc., Aktionärsbrief, 2017
Während Otto-Supporterinnen auch 2020 nicht auf Konflikt- oder Krisensituationen souverän regieren können, regeln Amazon-Supporter im ersten Telefonat fast alle Fälle offen, ehrlich und fair. Denn Sie bekommen die notwendigen Tools an die Hand. Hier entscheidet sich die Schlacht um die Kunden, hier entscheidet sich, ohne Gutschein oder nur mit 20% oder mehr Rabatt einzukaufen. Hier haben die BWL-Experten der “Asset”-Fraktion aus Bramfeld verloren. Der Unterschied zwischen der “Day One”-Philosophie eines Jeff Bezos und “Müssen nicht bei uns kaufen”-Arroganz der Hamburger Firmengruppe. Für Otto ist das der Anfang vom Ende. Und das beweise ich:
So digital geht’s hier wirklich zu.
Foto: HANSEVALLEY
Von lokal zu regional, von national zu global: Bereits bei dieser Entwicklung ist die Otto Group auf dem Abstellgleis. Beweis: Der Rückzug aus Ländern und die de facto Gleichschaltung von Baur, Otto, Schwab und Witt. Während Amazon Flugzeuge und Schiffe kauft, um die globale Logistik zu steuern und Aliexpress, Joom & Wish die nationalen Märkte erobern, ziehen sich die Bramfelder zurück. Während Amazon ein eigenes nationales Logistiknetz mit 14 Umschlagzentren und 30 Verteilstationen gespannt und mit 20 weiteren Niederlassungen ausbaut, jammert die oberste Otto-Heeresleitung über einen unfairen Wettbewerb. Der hat am Beispiel Amazon in den vergangenen 20 Jahren 20.000 Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen, 28 Mrd. € investiert und im vergangenen Jahr 1,6 Mrd. € Steuern gezahlt — in Deutschland.
Seit 2018 verspricht Otto.de zum Marktplatz zu werden, integriert im 1. Jahr gerade einmal rd. 70 Händler — per Faxlisten. Konzernvorstand und HSBA-Absolvent Alexander Birken erinnert sich noch heute an die Frage auf der Bilanz-Pressekonferenz. Mit jeder Jahresbilanz versprechen Birken und sein Lautsprecher Voigt, jetzt tausende Händler zu onboarden — verantwortet von einem nur bedingt kund*innenorientierten Ex-BCG-Berater Klauke. Im vergangenen Jahr weist die Group-Bilanz 166 Mio. € Kosten für den Plattform-Umbau aus. Bis heute dominieren konzerneigene Händler, wie Mirapodo. Das ist die Sollbruchstelle und der Genickbruch.
Foto: Otto Group
Der Schnellere frisst den Größeren: 1994 wurde Amazon in Bellevue, Washington, gegründet. 25 Jahre später weist Amazon allein in Deutschland offiziell mit 19,9 Mrd. € insgesamt 19% aller E-Commerce-Umsätze aus — eine Steigerung in nur einem Jahr um 11,8%. Der Amazon.de-Marketplace erwirtschaftet hierzulande mit gut 30 Mrd. € weitere 29% aller E-Commerce-Umsätze. Damit dominiert Amazon mit rd. 50 Mrd. € Umsatz und fast 50% alle E-Commerce-Käufe in Deutschland. Global macht Amazon 58% mit seinen Händlern — und nicht selbst. Damit wird klar, wer heute das Geld verdient, wenn man kein Fax mehr benutzt. Stand heute hat Otto.de gerade einmal 500 Marktplatz-Händler, die zumeist über Wochen händisch integriert wurden.
1949 gründet Werner Otto in Hamburg-Schnelsen mit drei Mitarbeitern einen Schuhversand — mit Geld der Sparkasse. 70 Jahre später weist die Otto Group in Deutschland E-Commerce-Umsätze von 5,4 Mrd. € aus — eine Steigerung von 5,9% — die Häfte des vergleichbaren Zuwachses im deutschen Onlinehandel. Deutlich erkennbar: Die Otto Group ist in Deutschland nur noch 1/4 so groß wie Amazon.de — ohne den Amazon-Marktplatz. 2018 lag das Verhältnis noch bei 1:3. Mit 3,5 Mrd. € ist Otto.de das einzige Milliarden-”Asset” der Gruppe. Das ist der Unterschied von Geschwindigkeit zu einstiger Größe. Und Otto läuft die Zeit weg, weil man bis heute rd. 3 Jahre gebraucht hat, einen automatisch funktionierenden Marktplatz zu entwickeln.
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Der Gewinner von gestern — wie gesagt: Wir haben die Otto Group im April 2018 im Hamburg Digital Ranking zum hoffnungsvollsten Unternehmen in Sachen Digitalisierung an Alster und Elbe gekürt. Im Vergleich zu den damaligen Verfolgern HPA, Haspa, Hapag-Lloyd & Co. stimmte das auch. Nur zwei Jahre später sieht die Welt in Hamburg jedoch bereits ganz anders aus: Während Otto sein neues “Mitmach-Intranet” abfeiert, hat sich Marc Fielmann mit der Digitalisierung von Optikerleistungen ebenso auf den Weg gemacht, wie Lufthansa Technik mit Aviator eine digitale Plattform für Verkehrsflugzeuge anbietet und DNV GL den digitalen Zwilling für Handelsschiffe ermöglicht.
Auch heute gibt es neue, spannende Beispiele für Digitalisierung, Transformation und Kulturwandel an Alster und Elbe. Fernab von Sonntagsreden der Verbandsvertreter und Halbherzigkeiten im Koalitionsvertrag von Rot-Grün machen sich Firmen wie z. B. Fehrmann aus Hamburg daran, ihr Geschäft in die digital-vernetzte Zukunft mit 3D-Druck und Blockchain-Technologien zu führen. Was 1995 bei Otto.de mit einem der ersten deutschen Online-Shops begann, mit Projekt Collins und About You seit 2014 — im Gegensatz zu Zalando — kein Millarden-Überflieger geworden ist, droht durch globale Plattformen zur Hamburgensie zu verkümmern.
Foto: HANSEVALLEY
Wenn Firmen zu Ladenhütern werden: Durch unseren Blick auf beide Freien (und) Hansestadtstaaten, die drei Metropolregionen und alle fünf norddeutschen Bundesländer haben wir den direkten Vergleich auf Industrien in Bremen und Oldenburg, in Hannover und Braunschweig, in Rostock und Schwerin sowie in Lübeck und Kiel. Unser Fazit zur Otto Group lautet heute: Wer mit einzelnen Pilotprojekten — wie Paketauskunft via Google Home, Spültab-Bestellung der Bosch-Spülmaschine oder Wohnungseinrichtung via AR-App — glaubt, die Zukunft des E-Commerce zu gewinnen, der lebt hinterm Deich: in Hamburg. Gegenbeispiel: Amazon — ein Technologiekonzern mit eigener Hardware, eigener Infrastruktur, eigenen Software-, Apps-, Medien- und Datenservices. Denn alles wird digital, alles.
Die aktuelle Studie das Handelsinstituts EHI aus Köln untermauert unsere persönlichen Erfahrungen: Wenn wir sicher gehen, dass alles klappt und im Falle eines Falles nicht den Schaden haben wollen, kaufen wir bei Amazon und auf dem Marktplatz. Wenn wir für alltägliche Artikel so wenig Geld wie möglich ausgeben wollen, kaufen bei wir Aliexpress, Joom & Co. Aber nicht bei Otto. Das sage auch ich mit rd. 2.500,- € Amazon-Umsatz im Jahr und “Diamant”-Status bei Aliexpress. Gut 18% Amazon-Pakete allein bei DHL (heisst: rd. 288 Mio. Sendungen) und Berge über Berge von grauen China-Einschreibetüten in den Postfilialen zeigen, dass ich nicht allein bin.
Grafik: Amazon Presse
Zwischen Sicherheit und Schnäppchen: Wer Kunden anpöbelt, wer Journalisten beleidigt, zeigt, was er nicht kann: Zahlungsbereite Geschäftspartner mit herausragenden Leistungen bei Produkt und Service zu begeistern und so langfristig überzeugend an sich zu binden. Das ist dagegen die Philisophie der “Amazon Leadership Principals”. Herausragende Leistungen können ein goldener Prime-Käfig bei Amazon mit Next Day-Delivery, freundlichen Kurierfahrern und neuen Streaming-Serien sein. Herausragende Leistungen können ebenso Spottpreise von chinesischen Direktversendern sein — ohne Gewinnmargen für Importeure und Versandhändler.
Wenn Sicherheit oder Schnäppchen die erste Wahl sind, bleibt dem E-Commerce von Otto nicht viel übrig. Die seit Jahren gebetsmühlenartig wiedergekaute Argumentation von verantwortungsvollem Handeln wird von die eingangs erwähnten Protagonisten Müller, Voigt & Co. öffentlich mit Füssen getreten. Wenn in den Online-Shops überall die gleichen Sneakers aus Vietnam, die gleichen T-Shirts aus Bangladesh und die gleichen Jeans aus China verkloppt werden, sind die von Michael Otto aufgebauten Bemühungen für eine nachhaltige Produktion und fairen Handel mit den laufend offerierten 20-, 25- und 30%-Gutscheinen spätestens passé.
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Die Vermögensillusion von Bramfeld: Solange die Umsätze bei Otto.de & Co. die strukturellen Probleme übertünchen, solange das Hamburger Öko-System den Otto-Machern mit “Weiter so” auf die Schulter für ihr Klein-Klein klopft, wird sich an der Werner-Otto-Straße nichts ändern. Damit reiht sich der Closed Minded-Händler mit seinem Paketsklavendienst Hermes und dem Geldeintreiber EOS in die Reihe der Unternehmen ein, die mit Schaufensterprojekten ihre Lage übertünchen. Und die fliegen den Otto’s auch gleich um die Ohren — z. B. das Vorgaukeln schneller Lieferungen bei Otto Group-Shops über die 6 Hermes-Hauptumschlagbasen (Amazon Logistics: 14 Zentren). Entweder die Lieferung Masken wird nach 4 Wochen Wartezeit unversehens gecannelt (Danke, Otto.de!) oder Hermes braucht bis zu 2 Wochen, um in die Hufen zu kommen, wie Chip.de im Test bestätigt.
Die Corona-Fakten sprechen eine eigene Sprache: Tausende jetzt wegfallender Jobs bei Airbus, Galeria, Lufthansa Industry Solutions und Lufthansa Technik, fast 90.000 bereits arbeitslose Hamburger — 30% mehr als vor einem Jahr -, fast 300.000 Kurzarbeiter bei 23.000 Betrieben in Industrie, Hafen, Logistik und Medien — das sind rd. 30% aller Arbeitnehmer an Alster und Elbe. Die Zahlen zeigen der Freien und Hansestadt, über Jahre hinweg die Augen vor der Wahrheit — insbesondere der allumfassenden Digitalisierung in Industrie, Dienstleistung und Gesellschaft — verschlossen und den Menschen rot-grünen Öko-Sand in die Augen gestreut zu haben.
Foto: HANSEVALLEY
Die Beispiele sind erst der Anfang: Mit Mietausfällen, Ladenkündigungen und rückläufigen Umsätzen steht mit ECE der nächste Kandidat aus der Otto-Familie zur Restrukturierung an: Hamburgs Einzelhändler melden laut City-Managerin Brigitte Engler aktuell Umsatzeinbrüche von 35–40%. Vom Wegbruch des gern für die eigenen “Schäfchen” genutzten Büroimmobilienmarktes durch 30% weniger Büroarbeitsplätze sowie 50% weniger Geschäftsreisen — wie von Allianz-Chef Oliver Bäte provezeit — ganz zu schweigen. So viele Büros in Hamburger Alt- und Neustadt können gar nicht in bezahlbare Wohnungen umgewandelt werden. Womit es ans Eingemachte selbstherrlicher Pfeffersäcke, ihrer Makler, Verwalter, Anwälte und Notare geht. Willkommen in der Krise.
Hamburgs Chefvernebler “WildWestWasserstoffMan” übt sich noch in Selbstbeweihräucherung für das großzügige Verteilen von Bundeshilfen, während 1.600 Hamburger Unternehmer durch den Corona-Shutdown bereits zu Sozialfällen wurden. Das ist der ganze Blick auf die Krisen- und Katastrophenstadt Hamburg, deren vermeintliche Musterschüler Otto & Co. längst wanken und keinen Plan haben, wie sie nach Verlust der Medien- und Internethauptstadt nun den Bedeutungsverlust der Handels- und Logistikmetropole verhindern können. Stattdessen versucht man es mit Unisex-Toiletten auf dem Otto-Campus und fremden Starship-Robotern auf der “letzten Meile” — weil man damit ja die Handelskriege von Amazon und Alibaba gewinnen kann …
Foto: Hermes Logistik